Blog

Stärkung des operativen Cash Flow (aus der Beitragsreihe "Liquidität in disruptiven Zeiten")

Geschrieben von Dr. Bernd-Michael Brunck am 10. Juni 2020



In meinem Beitrag „Cash before Profit oder die Bedeutung von Liquidität in disruptiven Zeiten“ habe ich die überragende Bedeutung von ausreichender Liquidität dargestellt, aber auch die Komplexität, diese zur Verfügung zu stellen und zu erhalten.

In diesem Beitrag möchte ich auf ein aus Sicht des CFO wesentliches Handlungsfeld eingehen: Die Stärkung des operativen Cash Flow durch Minimierung des Cash Out und Optimierung des Cash In. Selbstverständlich ist dies „normale betriebliche Übung“. Krisenbedingt sind diese Maßnahmen allerdings massiv zu beschleunigen und zu verstärken. Wesentliche Handlungsfelder sind:

  • Kostenreduzierung bis hin zum Stopp von Projekten und Investitionen,
  • Forderungs- und Kundenmanagement,
  • Bestandsoptimierung und Lieferantenmanagement,
  • Finanzamt (Steuerzahlungen) und andere öffentliche Abgaben.
     

Minimierung des Cash Out als erster Schritt


Wir befinden uns in einer äußerst bedrohlichen Krisensituation. Um diese erfolgreich zu bewältigen, müssen weitreichende Entscheidungen schnell getroffen und treffsicher umgesetzt werden.

Zum Sofortprogramm und als erster Schritt in dieser Krise gehört, dass alle bisher freigegebenen Unternehmens-Budgets ihre Gültigkeit verlieren, also suspendiert werden. Wie ein „Schuss vor den Bug“ wird ein allgemeiner Ausgabenstopp verhängt, kombiniert mit einem sehr niedrig angesetzten Freigabelimit (ich empfehle eine Bandbreite von 100€ bis 250€).

Alles, was darüber liegt, muss die Geschäftsleitung freigeben. Dies ist sicher nicht populär, aber zur Unterstützung eines Verhaltenswandels und zur Realisierung des Einsparpotenzials aus dem „kostenseitigen Grundrauschen“ in einem Unternehmen absolut notwendig.
 

EO Interim Management - Hochqualifizierte Speazialisten für Sondersituationen und Krisenzeiten - Mehr dazu erfahren


Als weiteren wesentlichen Hebel zur Cash Out Reduktion empfehle ich die Erarbeitung einer Potenzialmatrix mit zugehöriger Priorisierung.

Die erste Dimension dieser Matrix sind Unternehmensbereiche (wie Vertrieb, Fertigung, Logistik, Marketing oder Facility Management) und übergreifende Themen (wie Prozesse), die zweite Dimension sind Kostenarten (wie Personal, Energie, Mobilitätskosten, Telekommunikation). In die einzelnen Zellen tragen Sie potenzielle Maßnahmen, oder zumindest Ideen dafür, ein.

Diese Potenzialmatrix wird im Rahmen der weiteren Arbeit konkretisiert  und immer tiefer detailliert; sie erhält dadurch Umsetzungsreife. „Quick Wins“ müssen natürlich sofort realisiert werden.

Welche Ansatzpunkte werden dabei identifiziert? Selbstverständlich der in fast jedem Unternehmen bedeutende Ausgabenblock der Personalkosten. Das Thema ist ganz generell heikel, wir sprechen über Menschen wie Sie und ich. Aber Unternehmen müssen sich auch personell anpassen, besonders in dieser so ohne wirkliche Vorwarnung entstandenen kritischen Situation.

Als erstes ist deshalb ein sofortiger Einstellungsstopp zu verhängen. Ausnahmen kann nur die Geschäftsleitung genehmigen. Eine der wirksamsten, mit den größten finanziellen Einflüssen versehenen Maßnahmen ist die zusätzliche sofortige Einführung von Kurzarbeit, wo immer möglich. Das Unternehmen wird von Lohnkosten und Sozialabgaben bis zu 100% entlastet und kann gleichzeitig seine Mitarbeiter für den Wiederanlauf halten.

Fehlen die Fachkräfte beim Wiederanlauf, weil diese freigesetzt wurden, gefährdet dies den Bestand des Unternehmens. Kurzarbeit kann sehr individuell innerhalb der einzelnen Unternehmensbereiche eingesetzt werden; die gesetzlichen Voraussetzungen sind dabei einzuhalten.

Weitere Potenziale ergeben sich aus der Anpassung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, Beratern/freiberuflich Tätigen und geringfügig Beschäftigten. Der freiwillige Verzicht von Führungskräften auf Gehalt und Boni kann einen weiteren Beitrag leisten, in Zeiten von Kurzarbeit ist dies auch ein wichtiges Zeichen an die übrigen Mitarbeiter.
 

Alle Ansatzpunkte parallel nutzen


Die sog. Sachkosten sind das nächste weite Feld zur Cash Out Reduktion. Hier gilt es, „jeden Stein umzudrehen“. Jeder Vertrag, sei es für Immobilien, Büromaterial, Energielieferungen,  Kopiergerätemiete, Dienstleistungen jeder Art (wie Büroreinigung, Pflanzenpflege, Hausmeisterdienste, Mitarbeiterbeförderung), für Maschinenleasing und Mietfahrzeuge, muss überprüft und angepasst werden, wo immer möglich; Kreativität ist hier gefordert, keine Schüchternheit.

Es sollte nicht gleich so brutal und ohne Empathie sein, wie dies das Unternehmen adidas mit seinen Vermietern getan hat, aber Gespräche und Verhandlungen müssen geführt werden.

Und natürlich sind alle Marketingaktivitäten (Events, Messebesuche und -auftritte, Social Media-Aktivitäten, Werbemittel, Agenturkosten etc.), Geschäftsreisen und ähnliche Bereiche auf ein absolutes Mindestmaß herunterzufahren. Auslandsreisen sind der Genehmigung durch die Geschäftsleitung zu unterwerfen.

Investitionen und Projekte sind, soweit noch nicht gestartet, auf ihre kurzfristige strategische Notwendigkeit zu prüfen und auszusetzen. An die strategische Notwendigkeit sind in der Krise noch strengere Maßstäbe anzulegen als bei der normalen Investitionsplanung. Denn die beste strategische Absicht bringt nichts, wenn man sie nicht finanzieren kann.

Aber auch bei laufenden Investitionen ist diese Prüfung durchzuführen und entsprechend zu handeln; es bieten sich Modularisierung oder zeitliche Streckung an. Selbst bei bereits in der Umsetzung befindlichen Projekten sollten sofort verbesserte Zahlungskonditionen, Reduzierung von Anzahlungen bzw. Teilzahlungen oder sogar Umwandlung in Mietkauf oder Leasing angestrebt werden.
 

Forderungs- und Kundenmanagement für mehr Cash In


Offene Forderungen bieten weiteres signifikantes Potenzial. Nicht selten konnte ich hier eine Reduktion von 10% und mehr erreichen. Ein konzentriertes und gut ausgestaltetes Forderungsmanagement verkürzt die „Kreditlaufzeit“ (die DSO) und senkt das Ausfallrisiko. Es entsteht ein dreifacher Mehrwert: mehr Liquidität durch geringere Forderungsausfälle, einen niedrigeren Zinsaufwand und geringere Kosten für eine Kreditversicherung.

Dafür ist es notwendig, den bestehenden klaren Handlungsrahmen für die Vergabe von Kreditlimits und Zahlungsbedingungen mit entsprechenden Eskalationsroutinen auf einen Krisenmodus hin anzupassen. Im Klartext: Freiheitsgrade sind zu reduzieren.

Welche zusätzlichen Prüfungen sind vor Festlegung des Kreditlimits durchzuführen (z. B. Einholen einer Kreditauskunft, Durchführen einer Bilanzanalyse, Berücksichtigung bisheriger Zahlungserfahrungen, Beantragung einer Kreditversicherung)? Wer darf eine (reduzierte) Kreditlimithöhe überhaupt noch freigeben? Was ist zu tun bei verändertem Zahlungsverhalten des Kunden, gibt es einen schnelleren Eskalationsprozess? (Und wer diesen klaren Handlungsrahmen bisher noch nicht oder nur teilweise umgesetzt hatte: ab jetzt ist er unabdingbar.)

Ganz generell sind alle offenen Forderungen zu überprüfen, zuerst werden die „dicken Fische“ geangelt. Überfällige Forderungen sind noch nachdrücklicher als bisher aktiv einzutreiben; mit den Kunden muss offensiv gesprochen werden. Alle im eigenen Unternehmen liegende Gründe für Zahlungsverzögerung oder gar -verweigerung müssen kurzfristig beseitigt werden. Aber auch eine größere Kulanz kann hier angebracht sein, um Zahlungseingänge zu erzeugen.

Bei nicht fälligen Forderungen muss geprüft werden, ob eine Veränderung der Zahlungsbedingungen oder andere Zusagen zugunsten des Kunden den Zahlungseingang beschleunigen können.
 

Schlafende Liquidität realisieren durch Bestandsoptimierung und Lieferantenmanagement


Die Vorräte binden i.d.R. eine erheblichen Anteil an Liquidität.  Zur Reduzierung diese Kapitalbindung steht eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verfügung, und die volle Klaviatur sollte genutzt werden. Schlummernde Liquiditätsreserven von 20% und mehr sind hier nicht unrealistisch, wie ich in Projekten zeigen konnte.

Unmittelbar ist das Bestellverhalten unter Beachtung von Risiken in der Lieferkette anzupassen. Es muss dabei vermieden werden, wichtige Lieferanten selbst in eine Schieflage zu bringen. Die parameter- und erfahrungsgesteuerten Bestellsysteme werden einer Krisensituation nicht gerecht, es ist ein „manual override“-Modus sinnvoll. Wird ein Vendor Managed Inventory-System verwendet, ist auch dieses manuell zu steuern oder sogar auszusetzen.

Ins Maßnahmen-Sofortprogramm gehört natürlich auch die klassische Bestandsanalyse, die jedoch forciert werden muss: A/B/C, X/Y/Z, Reichweiten. Bereits bekannte oder neu lokalisierte Alt- und Überbestände müssen nun reduziert (z. B. durch Rückgabe an Lieferanten oder durch Sonderverkäufe an Verwerter) und das Bestellverhalten auf die neugewonnenen Erkenntnisse angepasst werden, bspw. durch striktere Festlegung von Min/Max-Reichweiten. Eine zusätzliche Kapitalbindung durch kurzfristiges Herunterfahren der Fertigung muss natürlich vermieden werden.

Auch die laufenden Lieferantenverträge sind zu prüfen und, wo immer möglich, neu zu verhandeln oder zumindest vorteilhaft umzugestalten. Es sind dabei alle Facetten ohne Einschränkungen zu hinterfragen. Aber es sollte nicht nur um Abnahmeverpflichtungen, Preise und Zahlungsbedingungen gehen. Mit Kreativität lassen sich weitere Lösungen zum gegenseitigen Nutzen finden (vielleicht sind dies Konsignationsläger oder längerfristige Lieferantenbindungen).
 

Finanzamt (Steuerzahlungen) und andere öffentliche Abgaben


Dies ist ein komplexes Thema mit Nutzen-, aber auch einem nicht zu unterschätzenden Risikopotenzial. Die Finanzämter sind derzeit sehr kooperativ, was die Reduzierung und Rückzahlung von Steuervorauszahlungen sowie Steuerstundungen betrifft. Auch die gesetzlichen Initiativen zur Bekämpfung der Corona-Krise haben hier temporäre Möglichkeiten neu geschaffen.

Die bundesweit mögliche Aussetzung von Zahlungen für Umsatzsteuer, Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie die regional unterschiedlich mögliche Stundung der Gewerbesteuerzahlung schaffen kurzfristig Entlastung auf der Liquiditätsseite. Aber zum Jahresende sind die ausstehenden Steuern zu entrichten; jedenfalls nach heutigem Stand. Noch kurzfristiger wirkt die für bis zu zwei Monate mögliche Stundung der Lohnsteuerzahlungen.

Sollte in der Zwischenzeit jedoch eine Insolvenz nicht zu vermeiden sein, wird es richtig knifflig.

Deshalb sollte dieses Handlungsfeld nur in enger Abstimmung mit der Steuerabteilung bzw. dem Steuerberater angegangen werden und nur unter einem akuten kurzfristigen Aspekt. Es muss kontinuierlich geprüft werden, ob ausreichend Liquidität für Begleichung der gestundeten Steuerzahlungen vorhanden ist oder generiert wird.

Die größten, vor allem kurzfristigen Potenziale liegen im Kostenmanagement und der Bestandsoptimierung zusammen mit dem Lieferantenmanagement. Hier muss die Task Force zuerst und konsequent ansetzen. Das Forderungsmanagement muss kritisch das Zahlungsverhalten der Kunden beobachten und entsprechend handeln.
 

Die gesamte Beitragsreihe: Liquidität in disruptiven Zeiten


 

Zum Autor
 


Dr. Bernd-Michael Brunck ist als Interim Manager und Beirat / Aufsichtsrat tätig. Seine Leistungsschwerpunkte umfassen Restrukturierung, Sanierung und Turnaround Management. In mittelständisch geprägten Unternehmen übernimmt er Mandate als CFO/kaufmännischer Leiter, im Beteiligungscontrolling, für die Entwicklung von Kennzahlensystemen, die Unternehmungs(neu)finanzierung sowie Working Capital Optimierung.

 

Ihr Ansprechpartner bei EO 


Sollten Ihrerseits Fragen bestehen, trete ich gerne mit Ihnen in Dialog.
 

Wolfgang Reim


Wolfgang Reim

Telefon: +49 8331 756 962 6
E-Mail: wolfgang.reim@eoexecutives.com
Zum Profil von Wolfgang Reim

Haben Sie Fragen? Hinterlassen Sie uns eine Nachricht und wir melden uns zeitnah bei Ihnen.