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Corona und HR Interim Management

Geschrieben von Martin Steidl am 8. April 2020



Corona und HR Interim Management  

oder

Warum in der Flaute Geld für einen HR-Interim-Manager ausgeben?                                   

 

Segler wissen, dass es gerade in einer Flaute schwierig ist, den Kurs zu halten. Da kann es helfen, für eine bestimmte Zeit jemanden „an Bord“ zu haben, der mit Flauten hinreichend Erfahrungen gesammelt hat.

Mir geht es hier darum, auf den nächsten Seiten eine Lanze für aktives Handeln zu brechen: nicht die Schockstarre hilft den Unternehmen weiter, sondern besonnenes Handeln in der Krise und Vorbereitungen für die Zeit nach der Krise.

Besonders der Personalbereich ist in einer Krise dieses Ausmaßes bis zu seiner Belastungsgrenze gefordert. Da kann es zur Übersichtlichkeit beitragen, wenn man klare Prioritäten setzt, die man zwar regelmäßig überprüft, denen man aber folgt, wenn sich keine der Voraussetzungen geändert hat.

Ich halte es für dringend erforderlich, für den Personalbereich über folgende Sachverhalte nachzudenken:

  1. Schutzmaßnahmen in der Krise
  2. Anlaufmaßnahmen für die Zeit danach
  3. Geschäftsmodelle/Prozessketten nach der Krise
  4. Erarbeitung von Krisenreaktionsmaßnahmen – für die nächste Krise

 

1. Schutzmaßnahmen in der Krise

 

Wenn das Unternehmen an der Schwelle steht, langjährige und bewährte Fachkräfte zu entlassen, gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die davor und danach eskalierend ergriffen werden müssen. Bevor man diese Maßnahmen auch nur plant oder im Unternehmen kommuniziert muss man sie unbedingt vorher mit dem Betriebsrat diskutieren (§ 111 BetrVG).

Am besten erläutert man Maßnahmen, die man für ein Unternehmen vorschlägt, an einem Beispiel. Nehmen wir also folgendes an:

  • Es geht um ein Unternehmen des Maschinen-, Anlagen- und Werkzeugbaus mit einem Umsatz während der Hochkonjunktur in Höhe von 20 Mio. € und einer Anzahl Mitarbeiter/innen von 190.

 

  • Das Unternehmen liefert in den Maschinenbau, den Anlagenbau (Kühltechnik, Klima und Umwelttechnik) und in den Bereich Automotive (Teile für die Bodengruppe und für den Antriebsstrang)

 

  • Das Unternehmen hat trotz Nachfrageeinbruchs bei Automotive im 2. Halbjahr 2019 die Mitarbeiterzahl weiterhin konstant gehalten. Die Fortsetzung dieser Strategie führt in der derzeitigen Überlagerung verschiedener Krisen in dauerhafte und signifikante Verluste und wird sich, falls keine entschlossene Reaktion erfolgt, für das gesamte Unternehmen bestandsgefährdend auswirken.

 

  • Als erste Maßnahme bietet sich die Reduzierung der Zeitarbeitskräfte an – nach Möglichkeit vollständig. Zeitarbeitskräfte werden häufig für Hilfstätigkeiten in Fertigung, Montage, im Lager und im innerbetrieblichen Transport eingesetzt. Ihr vollständiger Wegfall bedeutet folglich, dass sich die Mitarbeiter/innen der Stammbelegschaft wieder auch um diese Tätigkeiten kümmern müssen. Der damit einhergehende „Komfortverlust“ wird angesichts der ernsten Lage zu verschmerzen sein.

 

  • Dann müssen die bezahlten Überstunden abgebaut werden. Wie kann man dies machen? Man muss die Mitarbeiter/innen nach Hause schicken; der Abbau der Überstundenkonten ist ohnehin eine der Voraussetzungen für die Genehmigung der Kurzarbeit, die zwingend auf die bisherigen Maßnahmen folgen muss.

 

  • Die gleiche Maßnahme ist auch bei Arbeitszeitkonten mit Plus-Stunden durchzuführen. Mit dem Betriebsrat ist eine Betriebsvereinbarung (im Folgenden: BV) darüber abzuschließen.

 

  • Das Verbot bezahlter Überstunden setzt für seine Durchführbarkeit voraus, dass die Auftragslage sich soweit entspannt hat, dass trotz dieser Maßnahme Kundenaufträge bedient werden können, die dem Unternehmen die dringend benötigte Liquidität bringen. Aber auch bei besserer Auftragslage kann hier durch Veränderungen in der Auftragsfolge und durch die Mitarbeit von Meistern und Vorarbeitern erfolgreich triagiert werden.

 

  • Die schlechte Auslastung des Bereichs Automotive in unserem Beispiel war bereits angesprochen worden. Für diesen Bereich muss Kurzarbeit angemeldet werden; der Prozentsatz ist der Auftragslage anzupassen, wobei ich aus Erfahrung eher höhere Kurzarbeit beantragen würde. Warum?

 

  • Ein Zurückgehen mit der Kurzarbeit setzt – eine entsprechende Auftragslage vorausgesetzt – sehr viel Motivation frei. Ich schlage vor, es mit der Kurzarbeit zunächst im Bereich Automotive zu belassen; dies wirkt dann in das ganze Unternehmen das Beispiel hinein.

 

  • Die nächste Maßnahme ist eine, die über die Grenzen des Unternehmens hinaus Signalwirkung entfaltet: die Anhebung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich.

 

  • Hier werden sich nach meiner Erfahrung zahlreiche Diskussionen mit dem Betriebsrat ergeben – die Botschaft des Unternehmens muss konsequent wie folgt sein: Diese Maßnahme dient einzig dem Zweck, möglichst viele der Mitarbeiter/innen in der Krise halten zu können.

 

  • Um den Erhöhungseffekt aus der vorgenannten Maßnahme auszugleichen kann man nun – mit Sozialplan, Interessenausgleich und einer BV zur Kooperation mit einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft – die entsprechende Anzahl Mitarbeiter/innen entlassen: die Erhöhung der Wochenarbeitszeit von z. B. 35 auf 40 Wochenstunden beträgt 14,3 % - die entsprechende Personalreduzierung von der Ausgangsgröße von 190 beträgt 27 Mitarbeiter/innen. Zu beachten ist hierbei, dass eine Entlassung von mehr als 10 % der Mitarbeiter/innen als Massenentlassung (Kündigungsschutzgesetz!) gilt und eine entsprechende Vorgehensweise des Unternehmens zwingend festlegt!

 

  • Wenn auch die bisher beschriebenen Maßnahmen nicht ausreichen – und das muss man, bevor man die Maßnahmen insgesamt einleitet, mit dem Betriebsrat zusammen durchrechnen und durchsprechen – ist es notwendig, den Abschluss eines Sanierungstarifvertrages ins Auge zu fassen, der nicht nur alle bereits beschriebene Maßnahmen umfasst, sondern darüber hinaus weitere Maßnahmen enthält:
    • Forderungsverzicht (z. B. 10 % auf alle Löhne und Gehälter) gegen Stundungsschein: der Verzicht läuft über einen bestimmten vorher vereinbarten Zeitraum – z. B. 24 Monate – und wird danach wie vereinbart bedient, d. h. unabhängig von der dann aktuellen Ergebnissituation des Unternehmens werden die Forderungen, auf die die Mitarbeiter/innen verzichtet haben, ausgezahlt; in einer Summe oder ratierlich (meist über drei auseinander folgende Monate verteilt)
    • Forderungsverzicht (z. B. wie oben) gegen Besserungsschein: der Verzicht läuft so lange, bis das Unternehmen bestimmte Ergebniskriterien erfüllt – z. B. Ergebnis der ordentlichen Geschäftstätigkeit, Ergebnis vor Steuern, Ergebnis nach Steuern, EBT, EBIT oder EBITDA – und dann wird ausgezahlt wie vereinbart.
    • Offensichtlich ist ein Forderungsverzicht gegen Besserungsschein für die Mitarbeiter/innen mit höherem Risiko verbunden, da sich die wirtschaftliche Erholung des Unternehmens aus einer Vielzahl von Gründen länger hinziehen kann.

 

  • Temporärer Lohn- und Gehaltsverzicht (z. B. 10 % für 24 Monate) – in unserem Beispiel wären das grob gerechnet: 163 MA x 3.000 €/p.m. x 0,10 x 12 x 2 = 1.17 Mio. €! Nach meinen Erfahrungen wird der Betriebsrat hierzu nur dann seine Zustimmung geben, wenn weitere betriebsbedingte Kündigungen für einen Zeitraum von mindesten 4 Jahren verbindlich ausgeschlossen werden.

 

2. Anlaufmaßnahmen für die Zeit danach

 

  • Wenn sich herausstellt, dass die Krise abflaut, dass die Märkte wieder aufnahmefähig sind und dass die Kunden durch Anfragen wieder Bedarf anmelden, müssen die Schutzmaßnahmen in der Krise vorsichtig und schrittweise gelockert werden.

 

  • Es hat sich bewährt, in regelmäßigen Besprechungen mit dem Betriebsrat zu erörtern, wie der Trend der Krise sich dreht, wie sich die Anfragetätigkeit der Kunden entwickelt und wie sich in der Folge Auftragseingang und Auslastung verbessern. Es muss darum gehen, den Betriebsrat, der in der Krise Maßnahmen mitgetragen hat, die schmerzlich aber unvermeidlich waren, nun an den Schritten in die neue Normalität zu beteiligen und so gut wie möglich einzubinden.

 

  • In der Krise – besonders bei längerer Dauer – werden Führungskräfte und Entscheidungsträger das Unternehmen verlassen haben. Man muss jetzt die Krise als Chance für die Talente „aus der 2. Reihe“ nutzen; außerdem signalisiert man dadurch, dass man auf „Eigengewächse“ setzt!

 

  • Die Arbeitszeitkonten können vorsichtig wieder anwachsen, müssen aber einer mindestens 14-tägigen Kontrolle unterworfen werden.

 

  • Mit Blick auf die Auftragslage und die Kapazitätsauslastung kann die Kurzarbeit stufenweise abgebaut werden. Das Überstundenverbot muss zunächst weiter bestehen bleiben.

 

  • Falls im Rahmen eines Sanierungstarifvertrages Forderungsverzichte oder Lohn- und Gehaltsverzichte vereinbart wurden sind die hierfür verwendeten Grundlagen zu dokumentieren und fortzuschreiben.

 

  • Mit dem perspektivischen Blick in die Zukunft des Unternehmens muss ein Programm zur Mitarbeiterbindung erstellt werden, das für die, in der schweren Zeit „bei der Stange“ geblieben sind, einen Lohn für ihre Loyalität bedeutet.

 

  • Mitarbeiter- und Abteilungsversammlungen sind in kurzer Folge - mindestens monatlich – zur offenen Aussprache der Krisenfolgen und deren Bewältigung durchzuführen.

 

3. Geschäftsmodelle/Prozessketten nach der Krise

 

Alle Prozessketten müssen auf den Kunden ausgerichtet sein. Um die Tragweite dieser Forderung zu erfassen muss man zunächst eine notwendige Unterscheidung treffen. Prozesse können sein:

  • Wertschöpfungsprozesse
  • Managementprozesse
  • Verwaltungsprozesse

Die Ausrichtung der Wertschöpfungsprozesse auf den Kunden ist von den Prozess-Gruppen die vergleichsweise einfachste in der Durchführung: wofür ist der Kunde bereit, zu zahlen? Wenn man bei der Preisbildung zudem berücksichtigt, dass jedes Produkt/jede Dienstleistung durch sein/ihre Umsätze mit dazu beitragen muss, dass die Unternehmensführung (im weiteren Sinne: Management) und die Verwaltungsprozesse (z. B. Instandhaltung, Lohn- und Gehaltszahlung) finanziert werden können, ist doch im Grunde alles klar. Wirklich? Wir müssen die Krise als Chance ansehen, alle unsere „Gewissheiten“ auf den Prüfstand zu stellen und uns fragen, ob unsere Kunden auf Dauer bereit sein werden, für Overhead, für Stabsstellen, für Frühstücksdirektoren, für Fehlversuche in der IT, für ein bemühtes aber orientierungsloses Personalwesen oder für andere Leerkosten zu bezahlen.

 

4. Erarbeitung von Krisenreaktionsmaßnahmen – für die nächste Krise

 

Wenn man sich mit den Grundlagen des Risikomanagement beschäftigt kann man ableiten, dass es eine Vielzahl von möglichen Risiken für ein Unternehmen gibt. Gleich ob externe oder interne Ursachen: früher oder später werden alle Risiken ihre Spuren im Ergebnis des Unternehmens hinterlassen, seien es z. B. Umsatzeinbrüche, Forderungsausfälle, Misserfolge bei Neuanläufen oder Anlageausfälle.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es ein guter Weg zu Krisenreaktionsmaßnahmen ist, bestimmte Krisen im Unternehmen einfach gelegentlich als Planspiele durchzuspielen. Damit erreicht man folgendes:

 

  • Sensibilisierung aller Teilnehmer

 

  • Wahrnehmung des Unterschied zwischen Ursachen und Wirkungen (z.B. sind Umsatzeinbrüche Ursachen für Ergebniseinbrüche. Umsatzeinbrüche selbst können aber Auswirkungen von Lieferschwierigkeiten oder anderen Problemen im Markt ein)

 

  • Verdeutlichung von Ursache-Wirkungs-Ketten

 

  • Quantifizierbarkeit von Wirkungen in Abhängigkeit quantifizierter Ursachen

Die hier als Beispiele genannten Krisensimulationen lassen sich sicherlich entsprechend der betreffenden Branchen weiter verfeinern und differenzieren. Fest stehen sollte allerdings, dass man immer „das unvermeidbare denken muss, um das undenkbare zu vermeiden“.

 

5. Fazit

 

In den vorstehenden Erläuterungen habe ich anhand offener Listen (Ergänzungen jeder Zeit möglich und notwendig!) versucht, zu verdeutlichen, wo und in welchem Umfang ein externer krisenerfahrener HR Interim Executive ein Unternehmen, das infolge der Corona-Krise in eine bestandsgefährdende Situation hineingeraten ist, im Personalbereich unterstützen kann. Es muss beim Einsatz eines solchen Krisenmanagers darum gehen:

  • die Auswirkungen der Krise einzudämmen
  • die wirtschaftlichen Verluste während der Krise möglichst gering zu halten
  • einen reibungslosen Neustart nach der Krise zu ermöglichen

 

Ein Gastbeitrag von Martin Steidl
 


Über den Autor: Martin Steidl verfügt aufgrund seiner mehr als 30 jährigen Führungserfahrung über umfangreiche Fähigkeiten. Als Interim Manager hat er bereits mehr als 25 Unternehmen unterstützt unter Anderem als CEO, CRO, CTO, Geschäftsführer oder Leiter von Sonderprojekten.

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