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Anforderungen an das Rechnungswesen bei Insolvenzen in Eigenregie

Geschrieben von Johannes Kirchhoff am 8. Mai 2020



Fallstudie: Nutzung von SAP ERP FI in der Insolvenz 

Wie kann man mit SAP ERP FI die Anforderungen an die Buchhaltung im Insolvenzfall umsetzen? Als Lösungsalternativen kommen Schattenbuchungskreise oder ein Insolvenzledger in Frage … Lesen Sie hierzu einen Gastbeitrag und Praxisbericht von Johannes Kirchhoff und Michael Wahl: 

2013 hat ein börsennotiertes Unternehmen Insolvenz angemeldet. Das Unternehmen beantragte das Schutzschirmverfahren und die Durchführung der Insolvenz in Eigenverwaltung. Beantragt wurde die Durchführung des Insolvenzverfahrens für die Muttergesellschaft des Konzerns, die Tochtergesellschaften blieben von der Insolvenz unberührt. Die Insolvenzphase begann am 1.11.2013. Nach dem Insolvenzrecht beginnt damit auch ein neues Rumpfgeschäftsjahr. 

  

Ausgangsituation im Rechnungswesen 

Der Konzern war bis zum Eintritt der Insolvenz ein börsennotiertes Unternehmen mit entsprechenden Berichtspflichten. Das Konglomerat besteht aus rund 400 Buchungskreisen, die den Konsolidierungskreis mit rund 300 Gesellschaften darstellen. Der Muttergesellschaft sind alleine 45 Buchungskreise zugeordnet. Die Einzelabschlüsse der legalen Einheiten werden sowohl unter HGB als auch unter IFRS Bewertungsbedingungen erstellt. Der Abschluss für den jeweiligen Bewertungskreis erfolgt durch ein angepasstes Kontenplanmodell in der Ergebnisdarstellung. Der Konzernabschluss wird nach IFRS erstellt. 

Für das externe und interne Rechnungswesen wird SAP R/3 ERP 6.0 eingesetzt. Die Meldungen an das Konzernrechnungswesen unter SEM BCS erfolgen über einen virtuellen Cube aus dem FI SL. Im FI SL ist ein eigener, nach den Belangen des Konzerns strukturierter, Konsolidierungsvorbereitungsledger (KVL) eingerichtet. In das KVL wird simultan zum R/3 FI gebucht. Das Konzernrechnungswesen nutzt das SAP Konsolidierungstool SEM BCS. 

  

Anforderungen an das Rechnungswesen in der Insolvenzphase 

  • Beibehaltung der bisherigen Geschäftsjahreszuordnung 

  • Erstellung der Einzelabschlüsse unter HGB und IFRS Bewertungsbedingungen 

  • Erstellung von Jahresabschlüssen und Auswertungen während der Insolvenzphase 

  • Erstellung von Konzernabschlüssen während der Insolvenzphase 

  • Fortsetzung der ursprünglichen Geschäftsjahreszuordnung am Ende der Insolvenzphase 

 

Für die Umsetzung dieser Anforderungen würde im Regelfall neben der Anlage einer Geschäftsjahresvariante für das (Rumpf-)Geschäftsjahr, für jeden operativen Buchungskreis ein korrespondierender Schattenbuchungskreis angelegt werden. Problematisch in diesem Zusammenhang ist die Abhängigkeit der bestehenden Kostenrechnungskreise zur Geschäftsjahresvariante der zugeordneten Buchungskreise. Das gleiche Procedere ist bei Abschluss der Insolvenz zu erwarten, da dieser in der Regel ein weiteres Rumpfgeschäftsjahr folgt. 

  

Alternativen und Entscheidung für „Insolvenzledger“  

Für die Umsetzung dieser Anforderungen kamen zwei Alternativen in Frage: Die Erstellung von Schattenbuchungskreisen für die Rechnungslegung während der Insolvenzphase oder die Einrichtung eines Insolvenzledgers im FI SL für den Zeitraum der Insolvenz. 

Die Bewertung der Alternative „Schattenbuchungskreise“: 

  • Aufwendige Neuerstellung nahezu aller Buchkreise als „Schattenbuchungskreise“ 

  • Doppelerfassung von Belegen (Alte / Neue Periodenzuordnung) 

  • Doppelbuchungen von Belegen aus allen Subapplikationen 

Die Bewertung der Alternative „Insolvenzledger“

  • Erstellen eines eigenen Customizing für das erweiterte Hauptbuch 

Das Unternehmen hat sich für die Umsetzung der Alternative „Insolvenzledger“ entschieden. 

  

Die Umsetzung im SAP ERP 6.0 

Der erste Schritt: Die Einrichtung einer neuen Geschäftsjahresvariante 

Für die Darstellung der Insolvenzphase wurde eine eigene Geschäftsjahresvariante angelegt. Die Zuordnung der Berichts -monate/ -jahre erfolgt im Periodenzuordnungsmodell des Insolvenzzeitraumes (hier: Monat 11/2013 -> Insolvenzperiode 01/2014 usw.). Die Einrichtung eines abweichenden Geschäftsjahresmodelles hätte auch bei der Umsetzung der Alternative „Schattenbuchungskreis“ erfolgen müssen. 

Zuvor ein kurzer Abriss über die wesentlichen Eigenschaften von FI SL. Die Funktionen von FI SL beruhen datentechnisch auf einer Tabellengruppe, die im Wesentlichem folgende Eigenschaften hat: Ein oder zwei Datentabellen für die Adressierung der Datenbestände in den Tabellen der Tabellengruppe, eine Tabelle für die Datenhaltung von Bewegungssummen pro Periode, eine Tabelle für die Datenhaltung der Einzelbewegungen und eine Tabelle für einzelne Planungssätze. 

Die folgende Grafik gibt einen Überblick über den Tabellenaufbau einer Tabellengruppe im FI SL: 


Aufbau der Tabellengruppen im FI SL  
 

Datenstruktur FI SL 

Die Datenstruktur kann variabel aus SAP-eigenen oder kundeneigenen Kontierungselementen aufgebaut werden. Bestimmte Tabellenstrukturen sind allerdings vorgegeben. 

Die Buchungsfunktionen in das FI SL werden dann über einzelne Customizingschritte realisiert, die folgendes definieren: 

  • Ledger: Kennzeichnung und funktionale Eigenschaften eines Datenbestandes in der Tabellengruppe 

  • Vorgang: Auswahl einzelner SAP Modul-spezifischer Aktivitäten für die Durchbuchung in die Tabellengruppe 

  • Zuordnung Buchungskreise: Zuordnung der Buchungskreise, die in die Tabellengruppe buchen 

  • Feldübertragung: Übertragungsregeln welche Felder aus den Belegen in welche Felder der Tabellengruppe zu übernehmen sind. 

 

Die nachfolgende Übersicht verdeutlicht die simultane Buchung im SAP R/3 FI und FI SL: 


Simultane Buchung von Belegen in SAP R/3 FI und FI SL
 
 

Ein Gastbeitrag von Johannes Kirchhoff

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Über den Autor: Johannes Kirchhoff ist Seniorberater für das Rechnungswesen (internationale Rechnungslegung) und das Konzernrechnungswesen und Spezialist für spieltheoretisch basiertes Risikomanagement. Er ist Geschäftsführer der f4S GmbH, Köln. Alle Schaubilder: Mit freundlicher Genehmigung der f4S GmbH. 

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